Grundlage des Interviews waren folgende Fragestellungen:
Welche Möglichkeiten bietet das Internet im Hinblick auf soziale Beziehungen?
Das Internet ist eine schnelle und unverbindliche Kontaktbörse, die jederzeit verfügbar ist.
Welche Gefahren birgt das Internet mit seinen vielen sozialen Netzwerken für Beziehungen?
Nachdem das Internet jederzeit verfügbar ist, wird schon bei geringen BeziehungsproblemenTrostund Ablenkung im Internet gesucht. Aus diesen scheinbar unverbindlichen Kontakten kann sich schnell mehr entwickeln, ohne dass man es ursprünglich vorhatte. Wegen der fehlenden Möglichkeit das Gegenüber real zu erleben finden Idealisierungen in viel größerem Umfang als bei den anderen Kontaktanbahnungen statt. Auf den Anderen wird dann alles projiziert, was einem in der aktuellen Partnerschaft fehlt.
Wie oft kommt es vor, dass Beziehungen auseinander gehen, weil der Partner im Internet jemand Anderes kennen gelernt hat?
Es kommt zwar immer öfter vor, dass der Partner im Internet Jemanden kennenlernt, die Paare trennen sich deshalb aber noch lange nicht. Es ist meistens nur ein Schuss vor den Bug und dient als Anstoß für die längst fällige Auseinandersetzung.
Nur bei maximal 5% der von mir beratenen Paare kommen Internetbekanntschaften als Anlass für eine Trennung vor. Die weitaus größte Gefahr stellt immer noch die Liebe am Arbeitsplatz dar. Ihr kann man nicht so leicht ausweichen wie einer Internet-Bekanntschaft. Diese wird nach dem Aufdecken durch den Partner schneller und leichter fallen gelassen.
Sind Fremdgeh-Portale, wie sie inzwischen immer mehr auftauchen, eine Gefahr für die bestehenden Beziehungen? (die Macher dieser Internetseiten sehen sich ja als Retter von Beziehungen, weil die Kontaktaufnahme für Seitensprünge übers Internet verborgen und relativ rasch geschehen kann)
Natürlich sind diese Portale eine Gefahr für Beziehungen, denn in jeder Partnerschaft gibt es immer wiederDurststrecken und gerade in diesen ist man anfällig für Versuchungen von außen. Den meisten Partnern bleiben die Kontakte ihres Lebensgefährten aber nicht längerfristig verborgen. Bei Unsicherheiten kontrollieren viele Menschen das Handy und den Computer des Partners.
Welche Beispiele gibt es aus der Arbeit mit Paaren?
Eine Studie aus den USA (von Beatriz Mileham, Uni Florida) besagt, dass das Internet bald der Hauptgrund für Ehescheidungen sein wird. Wie sehen Sie das, ist das realistisch?
Nein, der Hauptgrund für Scheidungen ist nach wie vor das Auseinanderleben der Partner. Erst daraus resultiert eine neue Liebe. Selbst ein Seitensprung ist heute keinTrennungsgrund mehr, sondern dient dem Wachrütteln des Partners. Die meisten „Scheidungsgründe“ werden immer noch am Arbeitsplatz oder im Umfeld der Arbeit kennengelernt (Fortbildungen, Tagungen, Dienstreisen).
Viele Internetseitensprünge laufen nach dem gleichen Muster ab: das Paar hat sich schon länger voneinander entfernt. Jeder geht seinen eigenen Interessen nach, manche Frauen konzentrieren sich sehr auf die Kinder, Männer oft mehr auf ihre Arbeit. Eine Zeit lang geht das trotzdem ganz gut. Man nennt das sogar landläufig: „glücklichverheiratet.“ Dann fällt einem Partner auf, dass der Andere zunehmend später nach Hause kommt und auch immer mehr Zeit am Computer verbringt. Er spricht ihn darauf an und bekommt irgendetwas Beschwichtigendes zu hören. Das beruhigt ihn aber nur vorübergehend. Sobald er alleine ist durchsucht er den Computer und das Handy des Partners und wird, falls er sich nicht ganz ungeschickt anstellt, auch fündig. Zunächst ist er trotz seiner Vorahnungen total schockiert. Er konfrontiert seinen Partner mit dem belastenden Material. Dieser versucht zunächst zu bagatellisieren, gibt aber, wenn genug Beweise vorliegen, notgedrungen Einiges zu. Es folgen tage- und nächtelange Diskussionen. Dieserneue,intensive Kontakt fehlte in dem jahrelangen Nebeneinander. Die meisten Paare finden dadurch wieder zusammen. Sie haben sogar wieder intensiven Sex. Die Affäre wird entweder sofort oder im Laufe dieser Auseinandersetzungen beendet.
Ein typisches Beispiel: Ivonne und Ernst sind seit 10 Jahren verheiratet und arbeiten zusammen in der gemeinsamen Firma. Ihre Hauptarbeit findet am Computer statt. Sie sprechen auch in der geringen Freizeit hauptsächlich über die Firma. Sexuell läuft immer weniger zwischen ihnen. Zunächst stört das Keinen. Ernst fällt auf, dass Ivonne auch spät abends noch stundenlang am PC zubringt. Sie beteiligt sich an Computerspielen mit Teilnehmern auch aus anderen Ländern. Nachdem sie die halben Nächte und sogar das gesamte Wochenende am Rechner verbringt, platzt Ernst der Kragen. Erst im Laufe des massivenStreits gesteht ihm Ivonne, dass sie sich in einen der Mitspieler verliebthat und mit ihm regelmäßig chattet. Außerdem will sie ihn in seiner Heimat, den USA, demnächst besuchen. Für Ernst bricht eine Welt zusammen und er überredet Ivonne gemeinsam meine Beratung aufzusuchen. Ivonne kommt nur widerwillig mit, denn sie ist fest entschlossen ihren Mann zu verlassen. Nachdem ich sie darin bestärke ihren Angebeteten in den USA (mit einer Freundin als Begleitperson) zu besuchen, lässt Ernst sie schweren Herzens reisen. Es geht mir darum, dass sie ihre Idealisierung am Wohnort ihres vermeintlichen Traumprinzen überprüft. Sie soll ihn im Alltag erleben und keinesfalls den Urlaub mit ihm verbringen. An Ort und Stelle fühlte sie sich total von diesem Mann enttäuscht. Nach ihrer Rückkehr leckte sie zuerst ihre Wunden und begann dann die Eheberatung zusammen mit Ernst. Sie mussten viel an ihrem gemeinsamen Leben verändern.