*Dieser Text stammt aus der jetzt-Redaktion. Die Autorin möchte anonym bleiben – das ist besser für sie, ihren alten und ihren neuen Freund."
Als ich etwa 22 Jahre alt war, hat mein Freund mich nach vierjähriger Beziehung verlassen: An einem Mittwochabend, einfach so, per SMS. Für lange Zeit geriet meine Welt komplett aus den Fugen. Nun, Jahre später, führe ich wieder eine Beziehung und bin glücklich. Das Drama von damals ist verblasst und beeinflusst mich eigentlich nicht mehr. Neue Liebe, neues Glück? Ganz so leicht ist das leider nicht.
„Bis zur ersten Ehe haben Menschen im Schnitt zwei bis vier ernst zu nehmende Beziehungen“, schätzt Gabriele Leipold, die in München als Paar,- Ehe- und Sexualtherapeutin arbeitet. In den vergangenen 30 Jahren hat sie sich mit den Problemen mehrerer Tausend Paare beschäftigt. „Die Erfahrungen, die wir während unserer Beziehungen machen, summieren sich – die positiven, wie die negativen - und wirken sich auf unser künftiges Liebesleben aus“, sagt Leipold.
Aus tiefenpsychologischer Sicht ist auch die ursprünglichste Beziehung, die wir kennen, prägend: die zu und zwischen Vater und Mutter. „Das Kind beobachtet, wie seine Eltern ihre Partnerschaft führen und wie sie miteinander umgehen.“ Schon hier erfahren wir also erste Prägungen – was künftige Verhaltensweisen und Vorstellungen angeht. Wie stark allerdings eine Liebesbeziehung die nachfolgende beeinflusst, hängt immer von dem Stellenwert ab, den wir ihr geben und von der Zeit, die vergeht, bis die neue beginnt.
„Wer verlassen wird, hat meist ein verletztes Ego und fühlt sich minderwertig“
Dabei spielt laut Leipold auch der Ausgang der vorherigen Beziehung für die neue Partnerschaft eine wesentliche Rolle: „Wer verlassen wird, hat meist ein verletztes Ego und fühlt sich minderwertig.“ In diesem Fall ist es wichtig, dass man sich Zeit nimmt, bevor man sich erneut auf eine Beziehung einlässt. „Man muss erkennen, was man selbst zum Scheitern der vorigen Beziehung beigetragen hat, sonst bleibt man weiter in der Opferrolle.“ Ein verfrühter neuer Versuch kann jedoch auch dem anderen schaden: „Missbrauch am neuen Partner“ nennt die Expertin es, wenn sich jemand von Beziehung zu Beziehung stürzt. Denn nicht selten endet diese Liebe dann genauso schnell, wie sie begonnen hat.
Doch auch derjenige, der Schluss macht, beeinflusst mit seiner Entscheidung seine neue Partnerschaft: „Er hat Oberwasser und oft hat derjenige, der verlässt, das Gefühl der Stärke gegenüber dem Verlassenen.“ Dass er die Beziehung beendet hat, gibt möglicherweise sogar seinem neu gewählten Partner Auftrieb: „Er hat sich ja aus bestimmten Gründen getrennt und sucht sich nun jemanden, bei dem er diese Eigenschaften oder Verhaltensweisen des vorherigen Partners nicht erwartet.“ Dem neuen Partner suggeriert das: Ich habe verlassen, jemand Besseren gesucht und dich gefunden! Ich habe dich ausgewählt.
Wenn ich meinen Freund mit seinem Vorgänger vergleiche, sehe ich, dass sich mein Beuteschema gewandelt hat
Doch die vorangegangene Beziehung kann auch auf optische und charakterliche Vorlieben Auswirkungen haben: Wenn ich meinen heutigen Freund rein äußerlich mit seinem direkten Vorgänger vergleiche, lässt sich nicht abstreiten, dass sich mein Beuteschema komplett gewandelt hat. Von sehr groß und kahl rasiert habe ich mich zu mittelgroß und dichtem, dunklem Haar umorientiert. Hat meine gescheiterte Beziehung die neue also schon bei der Auswahl beeinflusst? Für Paartherapeutin Leipold wäre das nicht ungewöhnlich: „Es ist möglich, dass Sie mit äußeren Merkmalen ihres Ex-Partners, mit dem Sie ja etwas Negatives verbinden, erst mal nichts mehr zu tun haben wollen.“
Eine Art von Selbstschutz also, damit man sich vom neuen Partner nicht an die gescheiterte Beziehung erinnert fühlt. Auch was die Charakterzüge angeht, sei es gut möglich, dass man sich einen Partner sucht, der ganz anders tickt als der vorherige. Ausgeglichen statt aufbrausend, Ruhepol statt Partyboy. Doch das eigene Beuteschema ganz bewusst zu umgehen, hält Leipold für bedenklich: „Das finde ich unnatürlich und das hält man auch gar nicht lange durch, denn jeder hat sein ihm eigenes inneres Programm“, so Leipold. In vielen Fällen ist diese Umorientierung also nicht von langer Dauer.
Die Erfahrungen, die man in der alten Beziehung gemacht hat, können allerdings auch Auswirkungen auf die eigene Rolle in der neuen Partnerschaft haben: „Jemand, der von seinem Ex-Partner beispielsweise für seine Dominanz kritisiert wurde, verhält sich häufig zunächst bewusst zurückhaltend. Er möchte sich selbst beweisen, dass er dazugelernt hat.“
Mein Ex-Freund war ein sehr launischer Mensch, impulsiv und ohne Grund aufbrausend: Mal ist er betrunken nach einem Streit mit dem Auto nach Hause gefahren, mal hat er mich aus heiterem Himmel beschimpft. In solchen Fällen habe ich immer versucht, sein Verhalten durch seine schwierige Kindheit zu rechtfertigen oder die Schuld bei mir gesucht. Letztlich habe ich ihm immer alles durchgehen lassen und verziehen. Zu groß war meine Angst, ich könnte ihn verärgern und er würde mich deshalb verlassen. „Sie sollten in ihrer heutigen Beziehung deshalb in möglichst vielen Bereichen drauf achten, Ihre Wünsche zu zeigen“, rät die Therapeutin.
Ich hatte mir damals geschworen, niemals wieder jemanden so sehr zu lieben
Und genau das habe ich zu Beginn meiner jetzigen Beziehung automatisch gemacht. So pathetisch es klingt: Ich hatte mir damals geschworen, niemals wieder jemanden so sehr zu lieben, dass ich mich derart anpasse. Das hat sich schon darin gezeigt, dass ich mir in meiner neuen Beziehung ausgiebig Zeit gelassen habe, bis ich meinen Freund offiziell als solchen bezeichnet habe. Wer nicht mit mir zusammen ist, kann nicht mit mir Schluss machen – für mich damals eine logische Konsequenz.
Nie wieder wollte ich meine kurz- und langfristigen Pläne nach jemandem ausrichten. Nun, nach drei Jahren in meiner neuen Beziehung, tue ich es aber wieder. Klar, er ist unter den Top drei der wichtigsten Personen in meinem Leben, wenn ich ehrlich bin, möchte ich am liebsten jede freie Minute bei ihm sein. Auch meine Zukunftspläne richte ich zumindest grob nach seinen aus – und hin und wieder ärgert mich das. „Das hört sich jetzt vielleicht hart an“, sagt Paartherapeutin Leipold, „aber irgendwann muss man sich – auf Gedeih und Verderb – auf den neuen Partner einlassen. Mit einer Schutzmauer kann da keine wirkliche Tiefe entstehen.“
Es kommt vor, dass ich mir denke: „Das war aber damals besser“
Doch egal wie sehr man sich auf die neue Liebe einlässt, eine Sache lässt sich nicht vermeiden: der Vergleich. Auch wenn meine letzte Beziehung rückblickend so negativ war, dass ich eigentlich nur Abwärtsvergleiche treffen kann, kommt es hin und wieder vor, dass ich mir denke: „Das war aber damals besser.“ Auch aus meinem Freundeskreis kenne ich solche Überlegungen über den ehemaligen Partner oder die Partnerin: Die eine sagt, dass sie mit ihrem Ex-Freund besser reden konnte, ein anderer gibt zu, dass ihm die Figur seiner Ex-Freundin eigentlich besser gefallen hat.
Obwohl sich das beunruhigend anfühlt, ist es aber noch lange kein Grund zur Sorge: „Diese Vergleiche sind ganz natürlich und je mehr man versucht sie wegzuschieben, desto mehr drängen sie sich auf“, sagt die Expertin. „Man sollte sie schon akzeptieren, denn man lernt ja auch dadurch – aber man sollte sie dem anderen nicht mitteilen.“ Normalerweise verblassen die Erinnerungen an den Ex-Partner mit der Zeit und dann nehmen auch die Vergleiche ab.
Für Paartherapeutin Leipold steht fest, dass jede Beziehung Spuren im Leben eines Menschen hinterlässt und ihn deshalb prägt. Aber müssten dann nicht eigentlich diejenigen, die weniger Beziehungen hatten, in Liebesbeziehungen einfacher zufrieden zu stellen sein? Schließlich haben sie viel weniger Vergleichswerte, sind weniger geprägt und müssten somit weniger anspruchsvoll sein? Leipold widerspricht dieser These. „Menschen, die weniger Beziehungen hatten, haben oft Idealvorstellungen, der Alltag entspricht diesen Vorstellungen aber einfach nicht.“
Doch muss ich deshalb ein schlechtes Gewissen haben?
In ihrer Praxis betreut sie ein Paar, bei dem die Frau bereits mehrere Partnerschaften gehabt hat, der Mann jedoch nicht. „Es könnte ja sein, dass es noch etwas Besseres gibt“, zweifelt er an der Beziehung, obwohl er eigentlich glücklich mit ihr ist. Seine Frau vermutet, dass er die guten Aspekte nicht zu schätzen weiß, weil er noch nicht erlebt hat, „wie scheußlich Liebe eben auch sein kann.“ Für Leipold ist dieses Denkmuster kein Einzelfall. Menschen, die bereits mehrere Beziehungen erlebt haben, können ihren neuen Partner aufgrund ihrer Erfahrungen häufig besonders schätzen. „Eine hohe Beziehungsanzahl kann aber natürlich auch das Gefühl von Austauschbarkeit erhöhen“, gibt sie zu bedenken.
Manchmal frage ich mich, ob ich wieder so am Boden zerstört wäre, wenn mein neuer Freund nun unsere Beziehung beenden würde. So fertig wie damals wäre ich nicht, da bin ich mir sicher. Doch muss ich deshalb ein schlechtes Gewissen haben? Heißt das, dass ich ihn weniger liebe als meinen Ex-Freund damals? „Nein, Sie sind nur etwas reifer und geübter im Umgang mit Schmerz“, meint Paartherapeutin Leipold und fügt an: „Am Grad des Leids kann man die Liebe zum Partner nun wirklich nicht festmachen.“