Einige Paare behaupten keine Geheimnisse voreinander zu haben. Diese Aussage sollte aber eher als Wunschdenken verstanden werden, weil es immer noch als Wert gilt, sich so nah zu sein, dass man sich immer alles mitteilen muss. Tatsächlich aber hat eine Beziehung ohne kleine Heimlichkeiten kaum Überlebenschancen.
Wer möchte schon alles über seinen Partner wissen, auch die peinlichsten sexuellen Details aus seinem Vorleben oder gar alle seine erotischen Fantasien? Manches davon würde unser schönes Bild von ihm sogar unnötig zerstören. Man könnte jetzt argumentieren, dass es auch nicht sinnvoll ist eine falsche Vorstellung vom eigenen Partner zu haben. Einen grobenÜberblick in Bezug auf das Vor- und Innenleben des Lebensgefährten sollte man sich natürlich schon verschaffen, nicht aber alle Details ausleuchten. Jeder Mensch hat das Recht auf seine Intimsphäre und diese ist nicht durch eine Beziehung aufgehoben.
Es hat etwas Erniedrigendes dem Partner Rede und Antwort in allen Lebenslagen stehen zu müssen. Bei manchen Gedanken und Gefühlen empfindet man Scham und sofern es nicht für die Beziehung von existentieller Bedeutung ist, braucht diese Hürde nicht überwunden zu werden. Zur Verdeutlichung zwei Beispiele:
Eine Frau möchte nach 20 Jahren Ehe alle sexuellen Fantasien ihres Mannes kennenlernen. Sie bedrängt ihn ihr jedes Detail zu erzählen. Einige seiner erotischen Gedanken kommen ihm leicht über die Lippen. Durch das wohlwollende Verhalten seiner Frau ermutigt erzählt er ihr auch noch die für ihn peinlichste. Diese handelt davon, das ihm eine Frau einen Einlauf verpasst und er dabei einen Orgasmus bekommt. Seine Frau reagiert mit Ekel auf diese sexuelle Fantasie und zieht sich für die nächsten Wochen angewidert von ihm zurück. Er ist sehr enttäuscht von ihr und von sich. Schließlich hatte er gleich so ein ungutes Gefühl dabei ihr davon zu erzählen.
Ein 80 jähriger Mann hat den Eindruck zu wenig von seiner Frau zu erfahren und begibt sich deshalb auf Spurensuche auf den Speicher. Seine Frau bewahrt dort ein paar Kisten mit persönlichen Erinnerungen auf. Nach einigem Suchen findet er alte Briefe. Ein Bündel dieser Briefe stammt von demselben Adressaten und es handelt sich um eindeutige Liebesbriefe an seine Frau. Sie sind ca. 40 Jahre alt. Damals waren sie bereits 15 Jahre verheiratet. Er ist so schockiert, als wäre es eben erst passiert. Für seine Frau dagegen war die Affäre schon lange verjährt. Sie konnte seine Aufregung überhaupt nicht verstehen. Es hatte doch im Endeffekt keine Auswirkungen auf ihre Ehe gehabt. Er hielt sich damals berufsbedingt so lange im Ausland auf und sie fühlte sich so alleine. Der Ehemann konnte sich nicht mehr beruhigen, es nahm ihm seine ganze Lebensfreude und er starb ein Jahr später ohne Versöhnung.
Die zwei Beispiele verdeutlichen, dass man manchmal nicht dazu in der Lage ist, mit allen Geheimnissen des Partners umzugehen. Dieses Wissen wäre, wie die beiden Beispiele zeigen, auch nicht nötig gewesen um die Beziehung mit dem Partner fortsetzen zu können. Natürlich gibt es auch Heimlichkeiten, die die Partnerschaft belasten. Deshalb ist es in jedem besonderen Fall sinnvoll vorher gründlich abzuwägen, was ein Geheimnis bleiben muss und was nicht.